Medizinnobelpreis 1929: Christiaan Eijkman — Frederick Gowland Hopkins

Medizinnobelpreis 1929: Christiaan Eijkman — Frederick Gowland Hopkins
Medizinnobelpreis 1929: Christiaan Eijkman — Frederick Gowland Hopkins
 
Der Niederländer wurde »für die Entdeckung des antineuritischen Vitamins«, der Brite »für die Entdeckung der wachstumsfördernden Vitamine« ausgezeichnet.
 
 Biografien
 
Christiaan Eijkman, * Nijkerk (Niederlande) 11. 8. 1858, ✝ Utrecht (Niederlande) 5. 11. 1930; ab 1887 Leiter des Laboratoriums für Pathologie in Jakarta (Indonesien) und der Javanischen Medizinerschule, ab 1898 Professor für Hygiene und Gerichtsmedizin in Utrecht, Arbeiten auf dem Gebiet der Vitaminforschung, der tropischen Physiologie, der Bakteriologie und der Wasserhygiene.
 
Sir (seit 1925) Frederick Gowland Hopkins, * Eastbourne (Sussex) 20. 6. 1861, ✝ Cambridge 16. 5. 1947; ab 1914 Professor in Cambridge, dort ab 1925 Leiter des Sir William Dunn Instituts für Biochemie, Mitbegründer der Vitaminforschung, Arbeiten unter anderem über Insektenfarbstoffe, Proteine und die Chemie der Muskelkontraktion.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Zum Medizinnobelpreis 1929 passen gleich mehrere auch in heutiger Zeit noch schlagkräftige Überschriften. »Vom Nutzen der Vollwerternährung« könnte eine lauten. Aber auch der Titel »Wie wichtig Tierversuche wirklich sind« beschreibt die Forschungen des Niederländers Christiaan Eijkman und des Engländers Frederick Gowland Hopkins treffend. Sie teilten sich in diesem Jahr die Auszeichnung. Ihre Arbeit könnte aber auch unter einem anderen Titel stehen: »Genaue Beobachtungen und eine Portion Glück führen zum Ziel.«
 
 Die Hühnerkrankheit
 
Die Portion Glück, die Christiaan Eijkman zum Nobelpreisträger machte, ist schnell beschrieben: Er beobachtete, dass Hennen offensichtlich an einer ähnlichen Krankheit leiden können wie die Beriberipatienten. Bereits vor 1300 Jahren kannten die Chinesen dieses Leiden, das später auf allen Kontinenten auftrat. Seinen Schwerpunkt hatte es aber immer in Ost- und Südostasien. Lähmungen und Empfindungsstörungen, Herzbeschwerden und erkrankte Adern kennzeichnen die oft in Epidemien auftretende Krankheit. Die Patienten werden von einer allgemeinen Erschöpfung befallen. Auch die Nerven in Leib und Gliedmaßen werden in Mitleidenschaft gezogen. Je nach Begleitumständen liegt die Mortalitätsrate von Beriberi bei bis zu 80 Prozent.
 
Ähnlich vage Beschreibungen gibt es für eine Reihe von Krankheiten, deren Ursache man nicht kennt. Für Beriberi sollte zum Beispiel »schlechter Reis« verantwortlich sein, wie auch immer dieser »schlechte Reis« aussehen mochte. Es konnte aber auch ein Mangel an Proteinen oder Fett die Ursache sein, mutmaßte man. Heute ist bekannt, dass sowohl ein Mangel wie auch der Reis für das Ausbrechen der Krankheit verantwortlich ist. Bis zu dieser Erkenntnis musste Eijkman aber die Hühner in der Nähe seines Labors in der niederländischen Kolonie Java noch genau beobachten. Immer wieder zeigten einzelne Hennen Lähmungen, liefen unsicher, konnten kaum mehr auf ihre Stangen flattern und legten sich am Ende erschöpft auf die Seite. Ohne spezielle Behandlung starben diese Hühner. Die Nervenschäden im Gewebe der kranken Vögel deuteten darauf hin, dass die Tiere an einer ähnlichen Krankheit wie Beriberi litten.
 
 Das Silberhäutchen
 
Die große Leistung von Eijkman ist eine schlichte Erkenntnis: Beriberi hängt mit der Ernährung zusammen. Alle Hühner hatten einige Zeit vor Ausbruch des Leidens anstelle von ungeschältem Reis gekochten, geschälten Reis erhalten. Eijkman untersuchte den Sachverhalt genauer und konnte die Ursache weiter einkreisen: Nur wenn die Hühner das so genannte Silberhäutchen am Reis nicht erhielten, erkrankten sie am Beriberi-ähnlichen Leiden. Das Gleiche geschah, wenn sie ausschließlich mit anderen stärkehaltigen Gewächsen wie Tapioca gefüttert wurden. Damit war klar, dass im Silberhäutchen irgendeine Substanz stecken musste, deren Fehlen die Krankheit Beriberi auslöst.
 
Beweisen konnte Eijkman diese Annahme, als er den Hühnern zusätzlich zum polierten Reis die dabei entfernten Teile wieder verfütterte. Die Art des fraglichen Stoffs konnte er weiter einengen, als er herausfand, dass er sich gut in Wasser und Alkohol löst. Eine Studie an Sträflingen in den niederländischen Kolonien sollte schließlich beweisen, dass beim Menschen der gleiche Mangel Beriberi auslöst: Wurden Gefangene aufgrund bestimmter Ernährungsgewohnheiten ausschließlich mit poliertem Reis versorgt, erkrankten sie 300-Mal häufiger an Beriberi als Sträflinge, die Naturreis aßen.
 
Da die Silberhäutchen nicht groß sind, sollten schon sehr kleine Mengen der unbekannten Anti-Beriberi-Substanz den Ausbruch der Krankheit verhindern. Vitamine nannten spätere Forscher solche schützenden Substanzen, die bereits in kleinen Mengen wirksam sind. »Antineuritisches Vitamin« tauften die Wissenschaftler den unbekannten Wirkstoff gegen Beriberi, weil das Leiden auch als Polyneuritis bezeichnet wird.
 
 Vitaminmangel macht krank
 
Obwohl Eijkman den Zusammenhang zwischen dem Silberhäutchen und der Beriberikrankheit brillant bewiesen hatte, dauerte es lange, bis sich diese Erkenntnis in der Bevölkerung durchsetzte und sich die Zahl der Fälle in Ost- und Südostasien deutlich verringerte. Viele Menschen wollten weiterhin polierten Reis essen, weil er ihnen hygienischer und sauberer schien und ihnen der Zusammenhang zwischen der Krankheit bei Hühnern und beim Menschen nicht einleuchtete. Es fehlte auch immer noch der Übeltäter, die Substanz, an der es den Erkrankten wirklich mangelt.
 
Erst der Engländer Frederick Hopkins konnte durch umfangreiche Tierversuche diese Substanz identifizieren. Der Forscher erkannte bereits 1906, dass Mäuse und andere Tiere die Aminosäure Tryptophan nicht selbst produzieren können. Da Tryptophan aber für den Aufbau von fast jedem Eiweiß benötigt wird, müssen sie es mit der Nahrung aus Pflanzen oder auch der Muttermilch aufnehmen, um gesund zu bleiben. So genügen bereits geringste Mengen Milch, um einen Tryptophanmangel auszugleichen. Das fragliche Vitamin befindet sich im Casein der Milch, stellte Hopkins zusätzlich fest. Er entdeckte eine Reihe von Krankheiten, die auf das Fehlen von Vitaminen zurückzuführen sind. So fehlt vor allem Vitamin C beim Skorbut, an dem Seeleute litten, die lange kein frisches Gemüse gegessen hatten. Bei der Rachitis wiederum sorgt ein Mangel an Vitamin D für einen zu geringen Einbau von Calcium in die Knochen und verursacht massive Knochendeformationen. Und Beriberi entsteht, wenn Menschen mit der Nahrung zu wenig Thiamin aufnehmen, das reichlich im Silberhäutchen von Reis vorkommt. Die Tierversuche und penible Beobachtungen von Christiaan Eijkman und Frederick Hopkins haben bewiesen, wie wichtig die Substanzen sind, die in kleinsten Mengen für unser Wohlbefinden sorgen: die Vitamine.
 
R. Knauer, K. Viering

Universal-Lexikon. 2012.

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